Was ist Schönheit

 

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Frauenkunst

welt.de 27.04.01

Üppige Venus, schmalhüftiges Model

Von Klaus Honnef

Die Nase ein wenig zu lang, zu spitz, und die Stirn eine Spur zu flach, und dennoch
gilt der schmale Kopf der Königin Nofretete aus Kalkstein, der im Ägyptischen Museum
zu Berlin aufbewahrt wird, als Ebenbild einer schönen Frau. Obwohl er schon 3360
Jahre alt ist. Runde Backen, schwellendes Gesäß, fleischlicher Rücken und üppige
Oberschenkel sind hingegen die physischen Merkmale einer Göttin, die nicht nur in der griechischen und römischen Antike die Schönheit schlechthin verkörperte. Peter Paul Rubens hat sie auf der Leinwand so wunderbar plastisch wiedergegeben, dass sie zum
Greifen nah ist. Früher hätte man sie als Vollweib bezeichnet. Ihr Blick in einen Spiegel während der Toilette ertappt die Betrachter beim neugierigen Zusehen und hält sie auf Distanz. Das Gemälde, um die Jahre 1613-1615 gemalt, gehört zu den prachtvollsten Schätzen des Fürsten von Liechtenstein.

Nicht allein knapp zwei Jahrtausende liegen zwischen beiden Darstellungen, sondern Welten. Dabei erscheint die ägyptische Königin mit ihren hohen Wangenknochen und den fein geschwungenen Lippen dem Schönheitsempfinden der Nachgeborenen im Zeitalter der digitalisierten Bilder näher als die stämmige Flämin mit den samtweich fallenden Haaren in der Rolle der frivolen Gattin des Vulkan, die es gerne mit dem Kriegsgott Mars trieb. Ein gesundheitsbewusster Mediziner würde ihr dringend eine Frühjahrsdiät empfehlen, um den offensichtlich angesetzten Winterspeck loszuwerden, ohne ihr gleich als Vorbild magere Fotomodels wie die knabenhafte Kate Moss
anzudienen.

Unter dem geläufigen Namen Venus von Milo ist die Aphrodite von Melos eine Attraktion des Louvre in Paris, von einem hellenistischen Bildhauer aus Marmor geschaffen, um 150 vor Christi Geburt. Auch sie steht gut im Futter, mit ausladenden Hüften und kleinem festen Busen, aber augenscheinlich ziemlich kurzen Beinen, doch bei weitem ranker als das Geschöpf des niederländischen Hofmalers des Hochbarock. Nichtsdestoweniger liefert ihre Statue, gemeinsam mit anderen der gleichen Epoche, ein Maß der Vollkommenheit, Ausdruck der griechischen Klassik, der alle "Renaissancen" in der westlichen Hemisphäre seither nachzueifern vorgaben. Lediglich die Skulpturen des Gottes Apollo oder der männlichen Krieger und Sportler galten als noch schöner mit den idealen Maßen und Proportionen ihrer muskulösen Körper. Wie unfreiwillige Karikaturen wirken dagegen die Anabolikakörper der Bodybuilder neueren Zuschnitts.

"Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht", sinnierte bereits Albrecht Dürer, über hundert Jahre älter als Rubens, zweifellos ein intimer Kenner des damaligen Schönheitsbegriffs. Aber weniger sein subjektives Empfinden für schön oder hässlich machte dem Maler zu schaffen. Vielmehr beschäftigten ihn die Regeln, die ein Maler anwenden musste, um die Schönheit in Vollendung auf der Bildfläche erscheinen zu lassen. Wie alle gebildeten Zeitgenossen war er von der Vorstellung durchdrungen, dass sich in der vollkommenen Schönheit das Absolute offenbare, die göttliche Wahrheit oder der Widerschein des Gesetzes, das die Welt im Innersten zusammenhält. Bis weit in das Zeitalter der Moderne mit den Anfängen der Fotografie hatte jedes Kunstwerk sozusagen einen doppelten Boden, selbst als allmählich menschliche Individuen die idealen Götter und Helden in den Darstellungen ersetzten. Was zu sehen war, wies über das Sichtbare hinaus, transzendierte es, so dass eine höhere als die Erfahrungswirklichkeit aufblitzte.

Meist lieferten Mathematik und Geometrie mit ihrem Anspruch auf Objektivitä die Grundlage für den ästhetischen Kanon. Doch je stärker sich dank historischem Wandel das Selbstbewusstsein der menschlichen Individuen entfaltete und auf Gesellschaft, Kultur und Kunst übergriff, desto mehr differenzierten sich auch die Vorstellungen über die Schönheit. Im Laufe der Zeit verlor der ästhetische Kanon seine normative Kraft, und immer häufiger traten subjektive Geschmacksurteile an seine Stelle. Schon der trojanische Prinz Paris hatte sich der mythologischen Überlieferung zufolge in einem berühmten Wettbewerb um die Schönste des Universums nicht für die Göttinnen Aphrodite und ihre Stiefmutter Hera entschieden, sondern gab der irdischen Helena den Vorzug.

Aber damit forderte er den Zorn der Unterlegenen heraus und einen Krieg, dem seine Heimatstadt zum Opfer fiel. Derart Schlimmes haben die Zeitgenossen der Postmoderne nicht zu befürchteten. Nicht einmal die Bürger der Stadt Augsburg, die sich jüngst vehement gegen die Errichtung eines Standbildes der Aphrodite an prominenter Stelle wehrten. Einer der angesehensten Künstler der Gegenwart, der Deutsche Markus Lüpertz, hat der Außerirdischen in schwungvollen Formen Gestalt verliehen.

Zwar dürfte die Göttin keinen Einfluss auf die Entscheidung gehabt haben, fortschrittlich gesonnene Geister unter den Einwohnern fürchten gleichwohl einen negativen Nachruf für ihre Stadt. Aufschlussreicher sind indes die Argumente, die gegen die Skulptur mobilisiert werden. An der vermeintlichen Hässlichkeit der Statue haben sie sich entzündet, die von ferne an die so genannte "Venus von Willendorf, erinnert, ein 25 000 Jahre altes Figürchen aus Kalkstein mit hängenden Brüsten und mächtigem Bauch. Vermutlich das Fruchtbarkeitssymbol einer Epoche, deren Vorstellungen von Schönheit sich aus anderen Quellen speisen als dem ästhetischen Programm idealer Proportionen der europäischen Antike. Auch der barocke Rubens lässt grüßen. Für einen kurzen Moment jedoch wurde ein Kunstwerk wieder eine Sache der öffentlichen
Diskussion und enthüllte deren ganze Problematik.

Denn die Zeiten haben sich tiefgreifend verändert. Und im Einklang mit ihnen der Schönheitsbegriff. Von der Urgeschichte über die Antike, die Renaissance, den Naturalismus bis zur Postmoderne. Selbst der Klassizismus eines Picasso nach seiner kubistischen Phase mit den massiven Leinwandgespielinnen an südlichen Stränden, den Lüpertz zitiert, animiert wohl eher das männliche Schönheitsgefühl des Orients, gäbe es nicht in manchen Kulturen ein striktes Abbildverbot, als dass er die ästhetischen Ideale des Westens repräsentiert, die inzwischen überwiegend von den Schattenbildern der elektronischen Massenmedien, gestiftet werden und nur noch den äußeren Schein feiern.

Flüchtig wie die Mode, deren Vorschriften sich selbst die Körper unterwerfen, bestimmen die Stars des Kinos und der Reklame das kollektive Musterbild der Schönheit, das sozusagen in die Funktionale gerutscht ist. Die langbeinige, schmalhüftige, hübsche Claudia Schiffer überstrahlt die Venus von Milo, von anderen ätherischen Wesen, die so schnell kommen wie sie verschwinden, ganz zu schweigen. Aber wer weiß? Zu Beginn des neuen Jahrtausends scheint die launische Mode abermals weibliche Reize zu verlangen. Vielleicht erhält auch die Venus von Lüpertz noch eine Chance. Und bald kann sich ohnehin jeder Mensch mit dem Joystick seine eigene perfekte Schönheit kreieren, männlich, weiblich, unisex.

Kleopatra: Bilder und Mythen

London - Ihren stärksten Zauber übte sie mit dem Klang ihrer Stimme und ihrem Charme aus, schrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. Plutarch. 1200 Jahre später wusste Boccaccio: Sie sei "berühmt für nichts als ihre Schönheit". Von Kleopatra VII., Königin von Ägypten und Geliebte von Caesar und Marc Anton, machen sich die Menschen seit jeher Bilder, die eher etwas mit den eigenen Obsessionen zu tun haben als mit der Geschichte.

Wie sehr, zeigt jetzt das British Museum mit einer Schau, die erstmals sieben der bislang zehn als Kleopatra gedeuteten Bildnisse vereint. Sie machen deutlich: eine kräftige Hakennase, vorspringendes oder spitzes Kinn, "Venusringe" um den Hals geben Plutarchs Schilderung den Vorzug, vorausgesetzt, er fiel nicht auf die Geschichtsklitterung von Oktavian, des Siegers über Mark Anton und Kleopatra, herein. Denn der spätere Kaiser Augustus entfesselte einen Propagandakrieg gegen die ägyptische Königin, in dem Kleopatra als große Hure und männermordendes Weib dargestellt wurde. he