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welt.de 08.03.01

Kunst im Netz?

Virtuelle Kunst ist autonom, engagiert und hat stets einen Ausstellungsraum

Von Uta Baier

Amerikanische Wissenschaftler der Vanderbilt University haben dieser Tage
herausgefunden, dass immer weniger junge Leute in klassische Konzerte, in
Opern, Theater, Museen und zu Jazzkonzerten gehen. Das Publikum wird immer
älter, die traditionellen Künste interessieren immer weniger junge Menschen.
Das ist eine gute Nachricht — zumindest für Künstler, die mit dem modernsten
aller Medien, dem Internet, arbeiten. Denn sie werden vom Schwinden des
Interesses an den traditionellen Künsten profitieren, und die Museen werden die
Netzkunst irgendwann beachten müssen. Sie werden neue Ausstellungsformen
erproben, um diese neue Kunst präsentieren zu können und die Jüngeren ins
Museum zu locken.

Diese Erkenntnis beginnt sich nun langsam bei Museumsleuten aus aller Welt
durchzusetzen. Das Museum of Modern Art in San Francisco hat Anfang des
Jahres eine Ausstellung mit Netzkunst ausschließlich im Netz gestartet:
www.sfmoma.org, das MoMA in New York wird Netzkunst kaufen. Auch im
Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie beschäftigt man sich mit
diesem gar nicht mehr so neuen Genre. Denn schon seit Anfang der neunziger
Jahre arbeiten Künstler im Netz und zeigen dort ihre Arbeiten.

Trotzdem scheint diese Kunst noch immer nur etwas für Eingeweihte zu sein,
denn bisher ist das Netz als Ausstellungsort dieser speziellen Kunst nicht vielen
Kunstinteressierten bekannt gemacht worden. Deshalb ist die Frage berechtigt,
was das eigentlich ist diese „net.art“, Netzkunst, diese Kunst, die im Internet
entsteht, nur dort funktioniert und so schwer mit bisher bekannten Mitteln
ausstellbar ist?

Die einfachste Antwort ist: Kunst. Autonom, engagiert, ästhetisch reizvoll oder
auch nicht, verstörend oder unverständlich, wie alle Kunst. Die Unterschiede zu
den traditionellen Künsten sind trotzdem groß, behaupten die einen, existieren
nicht, behaupten die anderen. Die Diskussion kreist seit Jahren nicht nur darum,
wie diese Kunst zu verstehen sei, sondern um die grundsätzliche Frage, ob
Netzkunst denn überhaupt Kunst sein kann. Schließlich ist sie bisher nicht
verkaufbar und mit dem traditionellen Verständnis von Kunstbetrachtung auch
nicht fassbar. Denn sie verändert sich selbst ständig und wird — manchmal —
auch vom Betrachter oder durch ihn verändert.


Netzkunst ist ein gutes Stück Realität

Zwei Berliner Künstler, erklären den virtuellen Raum zum Lebensraum

Netzkunst-Senioren nennen sich Joachim Blank und Karl Heinz Jeron. Sie arbeiten als Künstler seit Anfang der neunziger Jahre im Internet, mit dem Internet und außerhalb des Netzes. Nun stellen sie ihr neues Kunstwerk „making sens of it all“ ins Internet. Im Gespräch mit Uta Baier erklären sie, warum gerade ihre Werke einen signifikanten Beitrag zur Informationsgesellschaft leisten und dass praktisch alle zeitgenössische Kunst Medienkunst ist.

DIE WELT: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, als Netzkünstler zu arbeiten?

Heinz Jeron: Zu Anfang glaubten wir, dass Kunst im Internet möglich ist, ohne
an ein Genre wie Netzkunst zu denken. Das tauchte erst später auf. Kunst im
Internet versprach die komplette Macht über den Ausstellungsort. Außerdem
hatte die Beschäftigung etwas von Landnahme, von künstlerischer
Inbesitznahme eines Raumes.

Joachim Blank: Kunst ist für uns Kommunikation. Das ist der interessante Aspekt
am Internet: Man kann mit vielen Leuten etwas gemeinsam machen, es in einen
Kunst-Kontext überführen und verhandeln.

DIE WELT: Es wird immer wieder kritisch angemerkt, Internetkunst sei viel zu sehr
abhängig von der technischen Entwicklung. Also von dem, was Techniker einem
vorgeben.

Jeron: Limits haben auch ihren Reiz. Aber es stimmt, Anfang der Neunziger gab
es viele Projekte, die sich nur mit den neuen technischen Entwicklungen
beschäftigten. Doch das hat sich erledigt. Außerdem wird Netzkunst oft als
homogener Bereich dargestellt. Das ist natürlich nicht richtig. Es gibt
Formalisten, die sich mit Oberflächen auseinander setzen. Man klickt drauf, es
passiert etwas und man muss nicht viel nachdenken. Andere Arbeiten sind
schwieriger, komplizierter.

DIE WELT: Das Internet dient Ihnen nicht nur als Werkzeug?

Blank: Internet ist nicht nur ein Werkzeug, es ist mehr. Man benutzt die
technischen Möglichkeiten, aber arbeitet gleichzeitig in diesem Medium. Es ist
immer in Veränderung. Im World Wide Web haben Grafiker und Gestalter
Navigationen entwickelt. Künstler reagierten darauf. Genauso wie Künstler, die
im öffentlichen Raum arbeiten und auf Veränderungen ihrer Stadt mit ihrer
Kunst reagieren.

Jeron: Joachim Blank hat schon sehr früh gesagt: Internet ist ein Stück Leben.

Blank: Ein gutes Stück Realität. Internet ist ein Raum, in dem man ein Ereignis
ablaufen lassen kann.

DIE WELT: Es gibt für Sie keinen Unterschied zwischen virtuellem Raum und
Realität?

Blank: Manche unterscheiden eine virtuelle Realität im Netz und die „richtige“
Realität draußen. Aber das ist falsch.

Jeron: Wir sagen Durchdringung.

Blank: Ja, es ist Durchdringung. Zum Beispiel hat der neo-liberale
Turbokapitalismus das Internet geprägt, das Internet prägt die Menschen, die es
nutzen und damit den Turbokapitalismus. Und wir reflektieren in unserer Kunst
darüber.

DIE WELT: Sie wollen ihre Arbeit, die zur documenta 1997 entstand, in einem
realen Raum ausstellen. Ausbruch der Netzkunst­Senioren aus dem Netz?

Blank: Nein, denn das Thema dabei war wahres Internet, wir haben Homepages
thematisiert, Verortung innerhalb des Mediums, Individualität.

Jeron: Aber Dimensionen wie Größe und Menge sind schlichtweg im Internet
nicht umsetzbar, weil es immer der kleine beschauliche Rahmen ist, der
Bildschirm, in dem sich etwas abspielt. Ich hab nie dieses Atemanhalten vor
Unübersichtlichkeit oder das Erschaudern vor Größe. Wenn es darum geht, dem
Betrachter ein solches Erlebnis zu verschaffen, ist der Bildschirm zu klein und
man kommt einfach zu der Erkenntnis: Internet ist ein dominierender Teil
unserer Informationsgesellschaft, aber nicht jede künstlerische Arbeit funktioniert
auch auf dem Bildschirm.

Blank: Obwohl sie ohne den Kontext Internet auch nicht funktioniert. Denn die
37 000 Seiten entstanden, weil documenta-Besucher Namen eingaben und
unser Suchautomat losging und Seiten dazu fand.

DIE WELT: Womit verdienen Sie Geld?

Blank: Um mit Kunst Geld zu verdienen, packt man lieber die Staffelei aus.
(beide lachen) Ich bin Dozent für Medienkunst an der Kunsthochschule in
Leipzig, Karl Heinz Jeron ist künstlerischer Mitarbeiter an der Hochschule der
Künste in Berlin.

DIE WELT: Wird man Netzkunst einmal verkaufen können?

Blank: Bestimmt. Die Vermittlerstrukturen werden sich ändern, wie sich das auch
bei der Videokunst erst nach und nach entwickelt hat. Ich bin mir ganz sicher,
dass auch im Netzkunstbereich eine Ökonomie entstehen wird.

DIE WELT: Man zahlt, wenn man eine Seite öffnen will?

Jeron: Ja oder man geht in einen Laden mit einem Terminal, und der
Internet-Galerist kennt sich aus. Dann ist es nur noch die technische Frage, wie
die Kunst auf dem Computer des Käufers installiert wird.

Blank: Schon jetzt gibt es Unternehmen, die wollen Künstler-Websites, um ihren
Angestellten etwas Gutes zu tun.

Jeron: Damit die nicht immer nur Moorhühner abschießen. Es gibt Banken, die
traditionelle Kunst sammeln und nun auch Interesse haben, Netzkunst auf ihrem
Intranet zu zeigen. Genauso wie man Betriebsräume schön gestaltet, wollen die
halt auch innerhalb ihres eigenen Netzes solche Kunst-Angebote.

Blank: Außerdem ändert sich der Typ Kunstinteressent und Sammler. Für den
machen wir Kunst, nicht für unsere Eltern, die einen ganz anderen Kunsthorizont
haben.

DIE WELT: Also Kunst für eine kleine Gruppe?

Blank: Verinselung ist blöd, tut keinem Lager gut. Wir wollen schon, dass viele
Leute unsere Sachen sehen. Man bezeichnet sich als Künstler, weil man meint,
man müsste der Öffentlichkeit auch etwas mitteilen.

Jeron: Ich sage immer, wir wollen einen signifikanten Beitrag zur
Informationsgesellschaft leisten.

Blank: Ich meine sowieso, dass 80—90 Prozent der zeitgenössischen Kunst
Medienkunst ist.

Jeron: Ja, weil sie sich damit thematisch auseinander setzt.

Blank: Ich glaube, in drei Jahren reden wir über diese Kategorisierungen gar
nicht mehr. Wichtig ist mir, dass man weiterhin den Unterschied zwischen Kunst
und Design deutlich macht.

Jeron: Genau. Wenn ich erzähle, was ich mache, kommt beim Gesprächspartner
schnell die Erkenntnis, dass ich wohl lediglich Homepages gestalte. Aber wir sind
optimistisch, dass sich Netz-Kunst verbreitet. Es gibt immer mehr Kunst- und
Kulturwissenschaftler, die sich dafür interessieren und ihre Arbeiten darüber
schreiben.

DIE WELT: Die Vermittlung ist wohl das Problem. Wie wird Netzkunst publik,
wenn Museen und Galerien nicht mehr die angemessenen Ausstellungsorte
sind?

Blank: Den „Mann mit dem Goldhelm“ verstehen wir auch nur, weil es Bücher
darüber gibt, weil er irgendwann auf Keksdosen abgebildet wurde. Irgendwann
war in den Köpfen: Rembrandt, Maler, Goldhelm: wichtig. So etwas muss eben
auch mit der Netzkunst passieren. Dieser Aufgabe müssen sich die Museen
stellen.


Das Netz ist schön, ist groß, ist reich

Aber ohne Kunst. Denn die Avantgarde im Internet ist die Pornoindustrie

Von Benjamin Heidersberger

Der Zustand der Diskussion über Kunst lässt die Feststellung nicht mehr zu, dass etwas nicht Kunst ist. Vielleicht gibt es Netzkünstler, aber es gibt keine Netzkunst.
Vielleicht ist die Frage auch irrelevant. Dennoch einige Bemerkungen zur Netzkunst
und den eng mit ihnen verbundenen Festivals:

1. Es hat mal jemand gesagt, Computerkunst
gibt es nicht, die Computer sind die Kunst. Analog möchte ich sagen: Netzkunst
gibt es nicht, das Netz ist die Kunst. Das Netz ist schön, das Netz ist groß, das
Netz ist reich, und wenn die Aufgabe der Kunst die eines gesellschaftlichen
Laboratoriums ist: Hier hat sie versagt. Die wahre Avantgarde des Netzes ist die
Pornoindustrie, sie hat die besten Ideen, die besten Interfaces, den besten
Content und das beste Marketing.

2. Netzkunst hat wie seinerzeit die Holografie das Stadium des technikverliebten
Experimentierens nicht verlassen, in der Micky Mouse in 3D zu sehen war (wenn
überhaupt).

3. Die Museen sind in der Darstellung von Netzkunst gescheitert. Dargestellt
werden lediglich Bildschirme. Museen, bleibt bei euren Bildern! Jeder PC mit
Internetanschluss in jeder Hütte dieser Welt ist das Fenster ins Netz.

4. Netzkunst ist wie das seit 50 Jahren laufende Projekt „Künstliche Intelligenz“
der Versuch, immer neue Förderungen zu bekommen. Mehr nicht. Viel Geld,
kein Ergebnis.

5. Was den Kunstmarkt mit der Netzkunst verbindet, ist die Kunstmafia, in der
sich Künstler, Kritiker, Galerien und Museen gegenseitig die Türen aufhalten
und damit gut verdienen.

6. Die Netzkunstgemeinde ist klein, kocht im eigenen Saft und löst sich langsam
auf. Das liest man in allen Diskussionsforen, etwa unter www.rhizome.org. Eine
Vermittlung nach außen gibt es nicht. Die Kosten für Plakate und Werbung kann
man sich sparen, außer zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit. Netzkünstler sind
Download Artists ohne Upload Button.

7. Den Nutzen der Netzkunst hat die Hardwareindustrie, also die
Computerindustrie, die immer etwas Neues zu verkaufen hat. Auch die
Unterhaltungsindustrie profitiert, weil sie ständig neue Formate und Inhalte
geliefert bekommt.

8. Die Träume der Künstler sind die Albträume der Menschen. Die Erfahrung
zeigt, dass Impulse der Medien- und Netzkunst auf die dümmstmögliche Weise
enden (Big Brother).

9. Die Forderungen der Sponsoren sind im Laufe der Zeit immer unverschämter
geworden. Es gibt kaum noch ein Projekt ohne irgendwelche Firmenlogos. Die
Sponsoren bestimmen den Inhalt, die Stellung ihres Logos, und die Netzkünstler
sind leichte Beute und gute Söldner.

10. Sinn der Netzkunst ist es, sich gegenseitig und möglichst weltweit auf
Festivals und in schöne Hotels einzuladen. Wer in der Business Class
angekommen ist, hat’s geschafft.